Der Zisterzienserorden

Faszination

Die Faszination, die von der zisterziensischen Architektur ausgeht, kann vielleicht derjenige am besten nachvollziehen, der schon einmal in der Klosterkirche in Fontenay gestanden hat. Diese Kirche ist im Inneren bis auf eine Marienstatue völlig schmucklos, besitzt keine Inneneinrichtung, keine Bänke, der Boden besteht nicht aus Marmorplatten, sondern aus kleinen Kieselsteinen. Und trotzdem vermittelt sie eine fast atemberaubende Raumwirkung. Dieser Effekt ist nicht auf Fontenay beschränkt, sondern läßt sich auch in vielen anderen Klosterkirchen des Ordens wiederfinden, vor allem, da zunächst alle zisterziensischen Klöster einheitlichen Bauregeln folgten und so die Zugehörigkeit zum Orden noch heute anhand einiger Charakteristika leicht erkennbar ist. Selbst wer sich nicht mit monastischer Architektur beschäftigt, kann den Unterschied zwischen Zisterzienserkirchen und anderen Kirchen sehen - und spüren.

Geschichte

Reformorden: Cluny und die Cluniazenser

Das Burgund war im Mittelalter die Wiege gleich zweier größer Reformorden: Cluny und Citeaux. Cluny, 910 als Benediktinerkloster gegründet, stellte sich bald an die Spitze einer Reformbewegung, die die Regeln des Heiligen Benedikt wieder stärken wollte und gleichzeitig versuchte, den weltlichen Einfluß auf die Klöster möglichst gering zu halten, weshalb das Kloster z.B. auch direkt Rom unterstellt war und keine andere weltliche Macht anerkannte. Der Schwerpunkt des Klosterlebens sollte wieder auf Liturgie und ernster Arbeit liegen. Die Loslösung des Klosters aus der Rechtsgewalt der Bischöfe machte die cluniazensische Reform zu einer Bewegung, die über die Klostergrenzen hinaus auch einen bedeutenden politischen Einfluß mit sich brachte. Cluny wurde zum Musterkloster, dem andere Einrichtungen nachfolgten (in Frankreich schloß sich ein Großteil der Klöster an) und so eine große Kongregation bildeten. In Deutschland z.B. war Kloster Hirsau im Schwarzwald das cluniazensische Zentrum.
Kirchenhistorisch war Cluny auch der Ausgangspunkt für Totenkult (das Allerheiligen-Fest nimmt hier seinen Anfang), Pilgerwesen (Rom, Santiago de Compostela) und Marienfrömmigkeit.
Mit dem Bau der Abteikirche Cluny III zwischen 1088 und 1130 erhielt diese Bewegung auch ein einzigartiges Baukunstwerk, das den Ruhm des Klosters verdeutlichen sollte. Mit einer Länge von 171 Metern entstand der bis zum Bau des Petersdoms größte Kirchenbau des Christentums. Das triumphal breite Mittelschiff, verstärkt durch zwei Seitenschiffe, führte den Eintretenden über zwei Querschiffe bis hin zum Chor, dem Ziel einer "via triumphalis". Auch hier zeigt sich ein Rückgriff auf alte Traditionen: Cluny erneuert das Konzept der frühchristlichen Basilika, allerdings in verschwenderischer Pracht: Die Kirche enthält zahlreiche Reliquien, wird zum Pilgerzentrum - und zum Vorbild für zahlreiche Abteikirchen (ein schönes Beispiel ist das in der Nähe von Cluny befindliche Paray-le-Monial.
Heute steht von dem monumentalen Bau von Cluny III nur noch ein Seitenarm des großen Querschiffes, der zusammen mit den auf den Straßen von Cluny aufgezeichneten Grundrißlinien die Pracht dieses Baues zumindest noch erahnen läßt.

Die Gründung von Cîteaux

Am 21. März 1098 gründet der Benediktinerabt Robert von Molesme das Kloster Cîteaux und nennt es "Novum Monasterium", neues Kloster. Dieser Name ist Programm: Robert will eine Klosterreform verwirklichen, die einen anderen Weg als das nahe Cluny einschlägt und die Regel des Heiligen Benedikt besonders streng auslegt. Der Name Cîteaux stammt vermutlich vom altfranzösischen "Cistels" und bedeutet ???. Das Kloster liegt in einer eher unfruchtbaren, bewaldeten Niederung des Flusses ??, die von den Mönchen für den Klosterbau gerodet wird. Schon 1106 kann die Klosterkirche geweiht werden. Die ersten Äbte Cîteaux' sind Robert, Albéric (1099-1109) und Étienne Harding (1109-1134). Diese bestimmten den Kurs, auf den sich das Novum Monasterium begeben sollte und brachten einige Neuerungen ein, die den Zisterzienserorden noch heute charakterisieren, so z.B. das weiße Gewand, das das ursprüngliche Schwarz des Benediktinerordens ersetzte.
Bedeutend ist auch die bewußte Abgrenzung von Cluny und dessen Prachtentfaltung: In Cîteaux wird besonderer Augenmerk auf die Einfachheit gelegt: Es gibt keine kostbare Ausstattung, kein wertvolles Kirchengerät und keinen Bauschmuck in der Kirche: Nichts soll die Mönche vom Wesentlichen, der Liturgie, ablenken. Die Räume des Klosters sind weitgehend ungeheizt - ganzjährig.
Der große Einschnitt in die Frühgeschichte des Klosters Cîteaux ist das Jahr 1112. Bernhard von Fontaine tritt mit 30 Gefährten in die Klostergemeinschaft ein. Dies wird zum Startschuß der rasanten Entwicklung des Zisterzienserordens, der bis dahin aufgrund seiner strengen Regeln nur wenig Zulauf gefunden hatte: Innerhalb weniger Jahre entsteht eine monastische Bewegung, die sich über ganz Europa verbreiten wird.

Bernhard von Clairvaux

Bernhard wird 1090 in Fontaine-lès-Dijon als Sohn eines Adligen geboren. Er tritt 1112 (übrigens mit vier seiner Brüder) als Novize in das Kloster Cîteaux ein und gründet von hier aus drei Jahre später das Kloster Clairvaux, dessen Abt er wird. Von Clairvaux aus werden innerhalb weniger Jahre weitere Tochterklöster gegründet, zunächst Trois-Fontaines, später z.B. auch Fontenay, Fontfroide und Alcobaca (Portugal).
Bernhard ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten der mittelalterlichen Kirchengeschichte, eine charismatische Erscheinung. Bald steht er in Kontakt mit dem Papst, vielen weltlichen und geistlichen Herrschern und den Geistesgrößen seiner Zeit. So kann er auch auf höchster Ebene in die Kirchenpolitik einzugreifen. 1130 stellt er sich z.B. auf die Seite von Papst Innozenz II., der im Kampf mit einem Gegenpapst Anaklet II. steht und sorgt bis 1138 für die Beendigung des Schismas. Streng stellt er sich gegen aus seiner Sicht abweichende Strömungen und bekämpft auch die neuentstehenden Armutsbewegungen des Arnold von Brescia und der Katharer. Zudem ruft er in Vézelay und anderenorts zum Zweiten Kreuzzug zur "Befreiung" des "Gelobten Landes" auf. Auch der blutige Kreuzzug gegen die Katharer im Languedoc ab dem Jahr 1209, der von unglaublich grausamen Massakern an der Bevölkerung begleitet wird, wird wesentlich von Zisterziensern getragen. Bernard stirbt im Jahr 1153 in Clairvaux.

Das Filiationsprinzip

Schon 1113 wird mit La Ferté das erste Tochterkloster von Cîteaux gegründet, in den Folgejahren viele weitere. Die frühesten Gründungen bilden mit Cîteaux selbst den Beginn des zisterziensischen "Stammbaumes": Neben Cîteaux sind dies La Ferté (gegr. 1113), Pontigny (gegr. 1114), Clairvaux (gegr. 1115) und Morimond (gegr. 1115). Jedes Zisterzienserkloster läß sich auf eines dieser Klöster zurückführen; die gesamte zisterziensische Hierarchie erwächst aus diesen Stammklöstern. Dieses Stammbaumprinzip, das in dieser strikten Form nur bei den Zisterziensern vorhanden ist, wird Filiation genannt. Das Mutterkloster behält dabei die Aufsicht über seine Töchter und hat das Visitationsrecht. Auf diese Weise bleibt eine enge Zusammenarbeit zwischen den Klöstern erhalten. Eine Tochtergründung kann ins Leben gerufen werden, wenn die Gemeinschaft im Mutterkloster ausreichend groß geworden ist. Für eine Neugründung sind zwölf Mönche und ein Abt erforderlich.
Gerade in Deutschland wird der Zisterzienserorden schon bald sehr bedeutend: Die ersten Gründungen entstehen nur wenige Jahre nach den Stammklöstern.: Kamp (Altenkamp) (1122) ist das erste Zisterzienserkloster auf deutschem Boden, bald folgen Walkenried (1129), Eberbach (1131), Pforta (1132), Altenberg (1133), Himmerod (1135) und Maulbronn (1147). Diese Klöster arbeiten intensiv an der Ostmission und gründen zahlreiche Klöster von Mecklenburg (Doberan 1171) bis Lettland (Dünamünde).
Der Zulauf zum Zisterzienserorden ist seit Bernhards Zeiten ungeheuer groß: Bis 1270 entstehen fast 700 Klöster; das Generalkapitel des Ordens muß bald die Regeln für Neugründungen verschärfen. Parallel zum zisterziensischen Männerorden entsteht auch ein Frauenorden.

Die weitere Geschichte des Ordens

Mit dem Jahr 1792 endet die Geschichte des Zisterzienserordens zunächst, und zwar mit dem Beschluß des Direktoriums der Französischen Revolution, sämtliche kirchlichen Anlagen dem Staat zufallen zu lassen. Die Klöster werden aufgelöst und in private Hände veräußert - aus heutiger Sicht wird es zum Glücksspiel, ob eine Klosteranlage die Zeit überdauern kann oder nicht. Zahlreiche Klöster werden in der Folgezeit zerstört, z.B. auch Morimond und Cîteaux selbst. Fontenay bleibt als Industrieanlage erhalten und ist heute ein Kulturerbe von Weltrang.

Klosterleben

Tagesablauf

Bernhard entwirft äußerst strenge Richtlinien für das Klosterleben: Der Tagesablauf ist streng reglementiert und teilt sich, "ora et labora", hauptsächlich in Gebets- und in Arbeitsstunden auf. Der Tag des Zisterziensers beginnt gegen 3 Uhr morgens mit den Vigilien, es folgen Laudes, Prim, Terz, Sext, None, Vesper und Complet. Die Stunden dazwischen dienen der Arbeit im Kloster (Scriptorium) oder den Gärten.

Klostergemeinschaft

Während in cluniazensischen Klöstern die Arbeit auf den Feldern durch Bauern durchgeführt wird, streben zisterziensische Klöstern nach Autarkie: Die Mönche selbst sind es, die die landwirtschaftliche Arbeit übernehmen. Unterstützt werden sie dabei von Laienbrüdern, den sogenannten Konversen, die ebenfalls am Klosterleben teilnehmen, aber einen eigenen Bereich innerhalb der Anlage besitzen. Das "klassische" Zisterzienserkloster ist somit vom weltlichen Leben weitgehend unabhängig.

Lage und Anlage

Bernhard von Clairvaux entwirft für "seinen" Orden die Anlage eines "idealen" Klosters und fordert, daß Neugründungen sich an diesem Plan zu orientieren haben. So kommt es, daß vor allem die frühen Neugründungen stets den gleichen Grundriß aufweisen. Ebenso legt Bernhard auch Prinzipien für die Lage der einzelnen Klöster fest: Alle Zisterzen sollen "in locis a conversatione hominum semotis", also an Orten weit entfernt von menschlichem Verkehr, gegründet werden. Daraus resultiert die bis heute charakteristische Lage der frühen Klöster in bewaldeten Tälern fernab der großen Städte und bedeutenden Handelsrouten. Zisterzienserklöster auf Bergen oder Höhenzügen sind daher selten und vielfach dadurch begründet, daß zumeist ein bereits bestehendes Kloster von den Zisterziensern übernommen wurde. (Bsp.: Wörschweiler).
Die Kirche war stets das Zentrum eines Zisterzienserklosters und wurde in west-östlicher Richtung mit dem Chor im Osten angelegt. Der Kirchenraum war zweigeteilt (meist erfolgte die Teilung durch einen Lettner) in einen den Mönchen vorbehaltenen Teil (Chor, Altarraum und Querhaus) und in einen Bereich für die Konversen (Laienbrüder) und die bäuerliche Bevölkerung.
Auf der Südseite der Kirche wurde der Kreuzgang angelegt, um den sich die wichtigsten Funktionstrakte des Klosters gruppierten: Speisesaal (Refektorium), Kapitelsaal, Schlafsaal (Dormitorium) usw. Die Konversen besaßen einen eigenen Trakt im Westen der Anlage und gelangten von hier durch die sogenannte Konversengasse direkt in das Langhaus der Kirche; die Mönche gelangten im Bereich des Querhauses von den Funktionsräumen in den Kirchenraum.
Zum Klosterkomplex gehören darüberhinaus weitere zumeist freistehende Gebäude wie Abtshaus, Gästehaus sowie die Wirtschaftsgebäude, die aufgrund der Autarkiebestrebungen der Klostergemeinschaft große Bedeutung besaßen. So gehörten in vielen Klöstern Mühlen, Brauhäuser, Gärten und Anlagen für Viehzucht und Ackerbau zum durch eine Klostermauer von der Außenwelt abgegrenzten Bereich.

Architektur

Auch für die Architektur der Klöster entwickelt Bernhard genaue Richtlinien. Mit seiner Forderung, im Inneren weitgehend auf Ornamentierung und Bauschmuck zu verzichten, stellt sich Bernhard bewußt gegen die Prachtentfaltung der cluniazensischen Klöster. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, üben die erhaltenen Klöster des 12. und 13. Jahrhunderts bis heute eine starke Wirkung auf den Betrachter aus.
Typisch für zisterziensische Architektur ist zum einen der schon erwähnte weitgehende Verzicht auf schmückende Elemente. Die Bauregeln sahen für die Klosterkirche einen turmlosen Bau mit flach schließendem Chor und Chorumgang vor. Sie sollte als Basilika errichtet werden, d.h. mit höherem Mittelschiff und niedrigeren Seitenschiffen.
Für die Gesamtarchitektur wichtig wurde auch die Vorschrift, weitgehend auf Bauornamentik zu verzichten: Bernhard verbietet in seinen Regeln das Anbringen von Skulpturen, Bildern und Schmuckformen: "...weil man gerade auf solche Dinge seine Aufmerksamkeit lenkt und dadurch häufig der Nutzen einer guten Meditation beeinträchtigt und die Erziehung zu religiösem Ernst vernachlässigt wird." In ihrer strengen Form wurden diese Regeln allerdings nur in der Frühzeit des Ordens angewandt (Fontenay ist ein hervorragendes Beispiel), später jedoch immer mehr aufgeweicht.
Auch die Glasfenster sollten so einfach wie möglich gehalten werden. So setzte sich bald die Grisailletechnik durch: Es wurden Grausilbergläser eingesetzt, deren einzelne Glasfelder durch dunkles Blei zusammengefügt wurden; die Konturen der grauen Glasfelder wurden durch den Auftrag schwarzer Farbe hinzugefügt.

Literatur

Die Literatur über den Orden ist zahlreich. An dieser Stelle daher nur eine kleine Auswahl an Werken aus meiner Bibliothek:

Allgemeine Darstellungen:

Einzelne Klöster:

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